Mein Schwager mag Innovation

Innovation tritt unerwartet auf. Wir erwarten sie zwar von Unternehmen, Universitäten und Forschungsstätten, aber meistens kommen sie von der „Graswurzel“ aus. Hier ist auch der Ort, an dem Innovationen am ehesten aufgegriffen werden. Man muss halt nicht auf einen Gruppenkonsenz oder allgemeine Akzeptanz warten. Da ich privat beliebige Kontakte halten kann, ist die Chance auch größer, andere zu finden, die meinem Verhalten nacheifern und mir folgen (meiner Meinung nach ein wichtiger Antrieb für uns, um neue Sachen auszuprobieren: Es schafft potentiell Anerkennung. Es ist der Hauptgrund dafür, warum Menschen eine Nintendo Wii kaufen: Man will sie anderen zeigen).

Menschen die solche Innovationen früh aufgreifen „überzeugen niemanden aktiv“ sondern „führen ein Thema an“. Ihnen ist es egal wer ihre Idee aufgreift oder nicht, sie erzeugen aber einen Sog und ziehen damit Menschen an, die ihnen eigenständig folgen.

„Eigenständiges Folgen“ signalisiert, dass etwas „geklickt“ hat. Und wenn es „klickt“, brauche ich keine Argumente mehr für etwas: „Klicken“ heisst „als Verhalten abspeichern und akzeptieren“. (Man beachte jedoch, das akzeptiertes, abgespeichertes Verhalten über die Zeit zum Hindernis für „Neues“ werden kann).

Mein Schwager ist ein solcher Themen-Anführer. Er arbeitet als Installateur, also in einem grundsoliden Beruf, und nicht an einem Ort, wo man klassisch nach Innovation suchen würde.

Er war einer der ersten Besitzer eines C-Netz-Telefons, was zu seiner Zeit exorbitant teuer und als extrem spinnert verschrien war. Klar, wir haben uns alle an der Technik begeistert, aber der Sinn des Ganzen hat sich zumindest mir damals nicht erschlossen. Das Motorola-Teil sah potthässlich aus (Stichwort „Knochen“), war nicht wirklich stabil, die Akkulaufzeit war gering, von 100% Netzabdeckung war nicht zu reden und ich sah nicht eine einzige sinnvolle Anwendung dafür.

Neidisch war ich trotzdem, schließlich war das für mich ein „magisches Spielzeug“. Mein Schwager hat es jedoch als Werkzeug gesehen. Für ihn war es ein Wettbewerbsvorteil, weil er in seiner Branche einer der ersten war, der „sein Büro“ mitnehmen konnte. Dabei muss man verstehen, was der Begriff „Büro“ für ihn bedeutet: Es ist für ihn der Ort des Kundenkontaktes. Der Ort, an dem man „wartet“ und „Zeit verschwendet“, wenn man gerade keinen Auftrag hat.

Ein Mobiltelefon zu haben hat nicht einfach seine Erreichbarkeit für Kunden erhöht, sondern ihm massig unproduktive Wartezeit erspart. Der Ort, an dem er Aufträge ausführte („beim Kunden“) war mit einem Mobiltelefon räumlich und zeitlich nicht mehr von dem Ort, an dem er Aufträge annehmen konnte („im Büro“) getrennt. Der Effekt für ihn: Die Zeit, in der er wartete, reduzierte sich und die Kunden registrierten obendrein einen besseren Service. (Viele, die den besseren Service erlebt haben, haben sicher selbst danach über ein Mobiltelefon nachgedacht).

Wie lange existierte dieser Vorteil für meinen Schwager? Bis jeder seiner Mitbewerber ein Mobiltelefon hatte. Aber auch wenn dieser Vorteil heute nicht mehr existiert, hält er sein Mobiltelefon weiterhin. Schließlich ist es jetzt kostengünstig und ein Standard. Genauso wie sein Festnetzanschluß, sein Faxgerät, … sein Internetzugang, … seine Webseite.

Letztere mag er nicht sonderlich. Sie ist schwer für ihn zu pflegen. Ich bin irgendwie sicher, dass wenn ich ihm Weblogs demonstriere, wird er unbedingt eins haben wollen.

Im Unternehmen habe ich mit der Einführung definitiv größere Widerstände zu überwinden. Ich stelle immer wieder fest, dass feste Gruppen viel schwieriger zu begeistern sind als Individuen im losen Verbund. Es wäre interessant alle Gründe herauszukriegen, an denen das liegt.